Wohnen an der Petrikirche in Braunschweig

1. Preis Architektenwettbewerb 2018

Erläuterungen

Die Petrikirche ist gegenwärtig im städtebaulichen Kontext der Stadt - obwohl physisch auf Grund ihres eindrucksvollen Turms durchaus sichtbar - kaum präsent, da sie und ihr Kirchenvorplatz an einer allenfalls Autofahrern als Abkürzung bekannten Straße liegt.

Während im mittelalterlichen Stadtgrundriss zumindest eine Beziehung zum wichtigen Straßenknotenpunkt des Radeklints bestand, ist dieser Bezug zu einem wichtigen Stadtraum durch die Nachkriegsbebauung am Radeklint vollständig verloren gegangen.

Gegenüber der Bebauung der Langen Straße liegt die Petrikirche im „Hinterhof“.

Städtebauliches Ziel muss es deshalb sein, dass mit der Neubebauung ein Ensemble entsteht, das die Kirche wieder mehr in den Mittelpunkt stellt, in dem sich die Neubebauung auf die Kirche ausrichtet, mit ihr zusammen eine städtebaulich markante und im Stadtgrundriss wahrnehmbare Figur bildet und die Petrikirche nicht länger im „Hinterhof“ der Wohnbebauung an der Langen Straße liegt.

Deshalb wird für die Neubebauung ein Gebäudekonzept entwickelt, dass sich eindeutig auf die Petrikirche orientiert.

Zentrum der Wohnbebauung ist ein Gartenhof, der von der Wohnbebauung auf drei Seiten umschlossen und dessen vierte Seite durch die Petrikirche gebildet wird.

Die Assoziation zu Klosterhöfen oder den Wohnbebauungen historischer „Beginenhöfe“ ist dabei gewollt und Grundlage für das Freiraumkonzept und die Fassadengestaltung.

Die neue Wohnbebauung wird als zusammenhängender, gegliederter Baukörper ausgebildet, der als „Gegenüber“ zu Petrikirche seine Eigenständigkeit erhält und zusammen mit dieser ein klar strukturiertes und im Stadtbild erkennbares Ensemble bildet.

Diese neue Bebauung ergänzt jedoch auch den Stadtgrundriss durch Aufnahme der Baufluchten an der Langen Straße und der Straße An der Petrikirche.

An die vorhandene Bebauung an der Langen Straße wird nicht direkt angebaut. Vielmehr wird hier ein offener und öffentlicher Durchgang - eine „Tweete“ - zwischen Langer Straße und dem Kirchenvorplatz geschaffen.

Diese Tweete öffnet den Blick von der Langen Straße zum Kirchturm der Petrikirche und erhöht damit die Präsenz der Kirche in der Stadt. Gleichzeitig entsteht auch eine funktionale Verbindung zwischen Kirchenvorplatz, dem Gemeindezentrum und der Langen Straße.

Die Tweete schafft nicht zuletzt eine neue fußläufige Wegeverbindung in der Stadt insbesondere für das Wohngebiet am Eulenspiegelbrunnen, sie ist gleichzeitig ein Angebot an die Öffentlichkeit und ein Mittel, die Petrikirche stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu implementieren.

Der Kirchenvorplatz wird im Wesentlichen in seiner Struktur belassen, die vorhandenen Bäume bleiben erhalten. Die Tweete zur Langen Straße erhält eine begleitende Baumreihe in einer Rasenfläche, die sich bis zur im Osten angrenzenden Bebauung erstreckt. Die bepflanzten rückwärtigen Fassaden der Garagen steigern noch den grünen Charakter, lang gestreckte Bänke dienen dem Aufenthalt für Passanten und für Kirchenbesucher.

An dieser „grünen Tweete“ wird der für die Neubebauung erforderliche Kleinkinderspielplatz angeordnet. Er kann damit auch von der umgebenden Wohnbebauung, die einen Mangel an nutzbaren Freiräumen für Kinder aufweist, mitbenutzt werden.

Die Orientierung der Wohnbebauung auf die Petrikirche wird durch das große geneigte Dach, das zur Kirche hin abfällt, unterstrichen. Die Neigung des Daches dient auch dazu, den Lichteinfall in die Kirchenfenster zu ermöglichen. Der östliche Schenkel der Wohnbebauung wir darüber hinaus „eingeschnitten“, um für die Chorfenster den Lichteinfall der morgendlichen Sonne zu verbessern.

An der Langen Straße nimmt die Neubebauung die Höhe der Eckbebauung am Radeklint auf und vermittelt zum höheren Gebäude der Braunschweiger Zeitung. Zur Langen Straße hin kragt die Wohnbebauung über die Grundstücksgrenze aus, übernimmt damit das an der Langen Straße auch an anderen Gebäuden (Eckbebauung Radeklint, Kinogebäude) vorhandene Motiv der Arkaden und schafft mit der Fassade der Obergeschosse eine verbindende Raumkante zwischen den beiden Nachbargebäuden.

Der „Gartenhof“ bildet das Zentrum der Anlage, verbindet Petrikirche und Wohnbebauung und schafft einen eigenständigen, von der Idee eines „Klostergartens“ inspirierten Freiraum in der Stadt.

Ein Wasserbecken mit Quellfelsen bildet den Mittelpunkt der Gartenanlage mit Bezügen zu den Eingängen der Wohnbebauung und zur Tweete. Nach dem Vorbild der Kreuzgärten wird um das zentrale Wasserbecken ein kleiner Hof mit Bänken und einem Ring von Blütensträuchern ausgebildet. Ein Weg entlang der Fassaden ermöglicht einen vollständigen Umgang, der zur Wohnbebauung hin von einer Hecke begleitet wird. Zwei Bäume mit schirmförmigen Kronen überstellen die Beete, die von flachen, immergrünen Stauden und Gehölzen geprägt werden. Auf diese Weise entsteht ein geschützter, ruhiger Garten, der sowohl den Ansprüchen an eine angemessene Gestaltung und Nutzung im Kirchenumfeld gerecht wird, als auch für die Bewohner der neuen Gebäude eine schöne Perspektive von den Wohnräumen und Freisitzen aus eröffnet.

Der Gartenhof ist zur Tweete und zur Straße an der Petrikirche mit Zäunen auf Sockelmauern eingefasst, die Zugänge sind abschließbar.

Das Gemeindezentrum liegt an dem Kirchenvorplatz zugewandten Schenkel des Ensembles und ist von der Tweete aus erschlossen. Der Gemeindesaal öffnet sich gleichwohl zum Gartenhof und zu einem eigenen kleinen Außenraum, der von der Petrikirche und dem Gemeindesaal begrenzt wird.

Die Wohnbebauung wird an der Langen Straße durch einen markanten Einschnitt gegliedert, der das mittlere Treppenhaus aufnimmt, in der Achse des Gartenhofes liegt und von der Langen Straße aus die Sicht auf den zentralen Brunnen ermöglicht.

Der Gartenhof soll für die Öffentlichkeit nicht vollständig geschlossen sein, er ist sichtbar von den umgebenden Straßen aus und über zwei „Gartentüren“ zugänglich, ohne dass sein kontemplativer Charakter gestört wird.

Die Wohnbebauung wird über 4 Treppenhäuser erschlossen, die von den umgebenden Straßen aus zugänglich sind und einen Zugang zum Gartenhof besitzen.

Die Erdgeschosswohnungen sind gegenüber den umgebenden Straßen und dem Gartenhof um einen Meter angehoben, um die Privatheit der Loggien zu erhöhen und einen Einblick in die Fenster zu verhindern. Hierdurch ergibt sich auch eine großzügige Höhe für die Arkade an der Langen Straße .

Die Tiefgaragenzufahrt befindet sich an der Straße An der Petrikirche. Von hier werden 64 Stellplätze der Wohnbebauung und 5 Stellplätze der Gemeinde erschlossen. Für besondere Veranstaltungen, wie z. B. Hochzeiten, ist weiterhin ein Befahren des Kirchenvorplatzes möglich. Im „Normalfall“ sollen Kirchenvorplatz und Tweete aber von parkenden Fahrzeugen freigehalten werden.

Da das Untergeschoss für die wirtschaftliche Anordnung der Stellplätze optimiert wurde, werden einige Wohnungsabstellräume im Erdgeschoss in den für Wohnungsnutzungen schlecht orientierten Bereichen vorgesehen.

Die Wohnbebauung wird mit kerngedämmten Ziegelmauerwerk bekleidet, da dies langfristig unter Berücksichtigung von Erstellungs- und Unterhaltungskosten die wirtschaftlichste Lösung darstellt. Sowohl an der Langen Straße als auch im Gartenhof wären häufige Einrüstungen, wie sie der Anstrich z. B. eines Wärmedämmverbundsystems erfordert, äußert aufwendig.

Das Ziegelmauerwerk ist grau oder graugeschlämmt vorgesehen, um mit der Farbe des Sandsteinmauerwerks der Petrikirche zu harmonisieren.

Der ruhige und „klösterliche“ Charakter der Fassade zum Gartenhof hin wird erreicht durch die differenzierte Anordnung der Fassadenöffnungen, zwischen denen sich gleich breite Pfeiler aus Ziegelmauerwerk befinden. Auf auskragende Balkone wird verzichtet, die Außenbereiche der Wohnungen werden als Loggien ausgebildet. Für die Dachgeschosswohnungen ergeben sich durch Dacheinschnitte intime Gartenhöfe. Die Fassade zu den umgebenden Straßen sind stärker geschlossen ausgebildet.

ARCHITEKTENRÜDIGER      ECHTERNSTRASSE 64     38100 BRAUNSCHWEIG